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Vom Labor zum Patienten. Endlich?

Genetik der Parkinson-Krankheit: Was ist therapeutisch relevant?

Die Parkinson-Krankheit galt lange Zeit als der Prototyp einer nicht-erblichen neurodegenerativen Erkrankung. Man ging viele Jahrzehnte davon aus, dass die Erkrankung vor allem durch Umwelteinflüsse wie zum Beispiel Pestizide hervorgerufen wird. In den 90er-Jahren haben Wissenschaftler dann die Entdeckung gemacht, dass eineiige Zwillinge immer gemeinsam an Parkinson erkranken, wenn die Erkrankung vor dem 50. Lebensjahr auftrat.

Da eineiige Zwillinge dieselbe genetische Ausstattung besitzen, lag hier die Vermutung nahe, dass zumindest in der Gruppe der Patienten mit frühem Krankheitsbeginn ein einzelnes verändertes Gen die Parkinson-Krankheit hervorruft. Als Gen bezeichnet man einen Abschnitt auf der DNA (=Erbsubstanz), der ein bestimmtes Protein verschlüsselt. Gene liegen in doppelter Ausführung vor mit je einer mütterlichen und einer väterlichen Genkopie.

Im Jahr 1997 gelang die Identifizierung des ersten Parkinson-Gens bei einer italienischen Familie mit 18 betroffenen Parkinson-Patienten. Die Forscher konnten nachweisen, dass in dieser Familie eine einzelne genetische Veränderung (= Mutation) in dem sogenannten Alpha-Synuklein-Gen zu einer vererbbaren Form der Parkinson-Krankheit führt. Seitdem sind weitere Gene identifiziert worden, die mit der klassischen Parkinson-Krankheit in Verbindung stehen. Dabei kann zwischen autosomal-dominant und autosomal-rezessiv vererbten Parkinson-Formen unterschieden werden. Bei einem autosomal-dominanten Erbgang führt eine einzelne Mutation in einer der beiden Genkopien zur Erkrankung, bei autosomal-rezessivem Erbgang müssen Mutationen in beiden Genkopien vorliegen. Eindeutig belegt werden konnte eine Erblichkeit für die Gene Alpha-Synuklein, LRRK2, VPS35 (autosomal-dominant) sowie Parkin, PINK1 und DJ-1 (autosomal-rezessiv). Es sind eine Reihe von weiteren Genen identifiziert worden, die jedoch entweder noch nicht eindeutig bestätigt werden konnten oder in Zusammenhang mit einer sehr ungewöhnlichen Parkinson-Form mit zusätzlichen neurologischen Zeichen stehen.

Insgesamt sind genetisch bedingte Parkinson-Formen selten. Sie betreffen maximal 3 bis 5 Prozent aller Parkinson-Patienten. Der Anteil erblicher Fälle ist jedoch umso höher, je früher die Erkrankung auftritt. Erkrankt ein Patient beispielsweise vor dem 20. Lebensjahr an Parkinson, beträgt die Wahrscheinlichkeit für eine genetische Ursache 70 bis 80 Prozent. In der Regel werden bei einem solch frühen Erkrankungsalter Mutationen im Parkin-Gen nachgewiesen.

Neben den oben genannten seltenen, erblich bedingten Parkinson-Formen gibt es weitere genetische Risikofaktoren für Parkinson. Der mit Abstand wichtigste genetische Risikofaktor sind Mutationen im GBA (Glucocerebrosidase)-Gen. GBA-Mutationen finden sich bei 2,3 bis 9,4 Prozent aller Parkinson-Patienten und bei ungefähr 1 bis 2 Prozent der Allgemeinbevölkerung. Das Parkinson-Risiko ist für GBA-Mutationsträger je nach Mutation um den Faktor 2 bis 10 erhöht.

Beteiligte Stoffwechselwege

Die Identifikation von Parkinson-Genen ermöglicht die Untersuchung von Stoffwechselwegen, die in Zusammenhang mit der Entstehung von genetisch bedingten Parkinson-Formen stehen (Abbildung). An deren Erforschung ist die Hoffnung geknüpft, dass auch Rückschlüsse auf Stoffwechselprozesse gezogen werden können, die eine Rolle bei der sehr viel häufigeren idiopathischen Parkinson-Krankheit spielen.

Eine besonders eindrückliche Verbindung zwischen genetischem und idiopathischem Parkinson zeigt das Beispiel Alpha-Synuklein: Der Eiweißstoff Alpha-Synuklein ist Hauptbestandteil der sogenannten Lewykörperchen und liegt dort in einer „verklumpten“, unlöslichen Form vor. Die Lewykörperchen können bei der Parkinson-Krankheit in untergehenden Nervenzellen und Nervenfasern nachgewiesen werden. Verklumpte Alpha-Synuklein-Aggregate werden wahrscheinlich von Nervenzelle zu Nervenzelle weitergegeben und führen somit zu einem fortschreitenden Nervenzellverlust. Mutationen im Alpha-Synuklein-Gen führen zu einer verstärkten Verklumpungsneigung und damit zur Entstehung der Erkrankung (Abbildung). Bei der idiopathischen Parkinson-Krankheit ohne Alpha-Synuklein-Mutation findet man genau die gleichen Proteinverklumpungen, es ist jedoch noch nicht genau bekannt, warum es dazu kommt.

Auch Mutationen in dem oben erwähnten Risikogen GBA führen zu einer Alpha-Synuklein-Verklumpung, möglicher-weise, weil das Produkt des GBA-Gens für den Abbau von fehlgefalteten Proteinen mitverantwortlich ist.

Ein anderer wichtiger Stoffwechselweg bei genetischem Parkinson betrifft die „Kraftwerke der Zellen“, die sogenannten Mitochondrien. Die Mitochondrien sind die wichtigsten Energielieferanten der Zelle. Die Gene Parkin und PINK1 spielen eine wichtige Rolle in der Qualitätskontrolle der Mitochondrien. Bei einer Mutation in einem der beiden Gene resultiert eine Störung der Mitochondrienfunktion, die letztlich über eine Störung des Energiehaushalts zu vermehrtem zellulären Stress und zu einem Nervenzelluntergang führt (Abbildung). Auch bei einem Teil der Patienten mit der idiopathischen Parkinson-Krankheit lassen sich Veränderungen der Mitochondrienfunktion nachweisen.

Parkinson-Gene und Therapie

Bei der Therapie der Parkinson-Krankheit muss grundsätzlich zwischen kausaler und symptomatischer Therapie unterschieden werden. Als kausale Therapie bezeichnet man die Behandlung der Krankheitsursachen, mit deren Hilfe der fortschreitende Krankheitsprozess abgebremst oder sogar gestoppt werden kann. Eine solche Therapie steht bislang jedoch weder für die idiopathische Parkinson-Krankheit noch für die seltenen genetischen Parkinson-Formen zur Verfügung. Es werden jedoch, basierend auf Erkenntnissen aus der Genetik, neue therapeutische Ansätze verfolgt.

GenortVererbungErkrankungs- beginnChromosomGenproduktBesonderheiten
PARK1AD40 – 60 Jahre4q21α-SynukleinPunktmutationen: gleicht idiopathischem Parkinson-Syndrom, häufig Demenz
PARK2AR20 – 40 Jahre6q25Parkinfrüher Beginn, L-Dopa-induzierte Dyskinesien, Besserung durch Schlaf, Fuß-Dystonie
PARK4AD30 – 50 Jahre4q21α-SynukleinVerdopplungen oder Verdreifachungen des gesamten α-Synukleingens, variabler Erkrankungsbeginn, häufig Demenz
PARK6AR20 – 40 Jahre1p35-36PINK1früher Beginn, ähnlich PARK2
PARK7AR30 – 40 Jahre1p36DJ-1früher Beginn, Dystonie, psychische Auffälligkeiten
PARK8ADVariabel, im
Mittel um 60 Jahre
12cenLRRK2gleicht idiopathischem Parkinson-Syndrom
ADUm 60 Jahre1p31GBAEtwas rascheres Fortschreiten und stärkere nicht-motorische Symptome als beim idiopathischen Parkinson-Syndrom
Auflistung der wichtigsten und häufigsten Parkinson-Gene. Bis vor einigen Jahren wurden die„Genorte“, also die Lokalisation auf den Chromosomen, mit Nummern versehen (hier: PARK1 bis PARK8). Dies wurde jedoch nicht konsequent weiter geführt, sodass manche wichtigen Gene, wie das GBA-Gen, welches der häufigste genetische Risikofaktor für die Parkinsonkrankheit ist, keine solche Nummer trägt. PARK1 und PARK4 wurden als„Genorte“ unabhängig voneinander entdeckt, später stellte sich jedoch heraus, dass das ursächli- che Gen in beiden Fällen identisch war: α-Synuklein.

Kausaler Therapieansatz – Verhinderung der Alpha-Synuklein-Aggregation

Ein wichtiger Angriffspunkt in der kausalen Therapie der Parkinson-Krankheit ist die Verhinderung der fortschreitenden Neurodegeneration. Da die Ablagerungen von Alpha-Synuklein mit einem unwiderruflichen Nervenzelluntergang in Zusammenhang stehen, gibt es eine Reihe von Bestrebungen, unlösliche Alpha-Synuklein-Verklumpungen durch Medikamente aufzulösen. Momentan werden mehrere Studien durchgeführt, in denen Parkinson-Patienten einen Impfstoff gegen Alpha-Synukleinerhalten. DieParkinson-Patienten entwickeln dabei Antikörper, die sich gegen Alpha-Synuklein-Verklumpungen richten. Des Weiteren werden Medikamente entwickelt, die Alpha-Synuklein binden und die Verklumpung verhindern sollen. Andere Angriffspunkte, die zum Teil bereits erfolgreich in Tiermodellen getestet wurden, sind (i) medikamentöse Veränderungen der Alpha-Synuklein-Struktur, die zu einer geringeren Verklumpungsneigung führen, und (ii) die Stärkung von zellulären Reinigungsprozessen. Ohne die Entdeckung des Alpha-Synuklein-Gens wären diese Fortschritte kaum denkbar gewesen, da unter anderem viele Tiermodelle auf genetischer Basis entwickelt wurden.

Kausaler Therapieansatz – Verbesserung der Mitochondrienfunktion

In der Vergangenheit wurden bei der Parkinson-Krankheit bereits mehrere Substanzen, die die Funktion der Mitochondrien verbessern sollen, getestet. Zu diesen Substanzen gehört unter anderem das Coenzym Q10. Leider zeigten sich für das Coenzym Q10 bislang keine durchschlagenden Therapieerfolge. Dies kann unterschiedliche Gründe haben:

Einerseits könnte es sein, dass das Coenzym Q10 sehr früh im Krankheitsprozess gegeben werden muss, um Neurodegeneration zu verhindern. Andererseits ist es denkbar, dass nicht zwangsläufig jeder Parkinson-Patient eine Störung der Mitochondrienfunktion aufweist. Solche Patienten würden selbstverständlich nicht auf eine Mitochondrien-unterstützende Therapie ansprechen. Im Gegensatz dazu weisen Parkinson-Patienten mit Parkin- oder PINK1-Mutationen eine eindeutig gestörte Mitochondrienfunktion auf. In aktuellen Forschungsprojekten wird untersucht, ob sich außer den genannten seltenen genetischen Formen weitere Parkinson-Patienten identifizieren lassen, die eine besonders starke Beeinträchtigung der Mitochondrienfunktion aufweisen. Solche Patienten könnten in der Tat von einer Mitochondrien-unterstützenden Therapie profitieren.

Symptomatische Therapie

Häufig ist nicht genau vorherzusehen, ob und wie gut ein Parkinson-Patient auf Parkinson-Medikamente und die Hirnschrittmachertherapie anspricht. Generell kann man sagen, dass Patienten mit einem jungen Erkrankungsalter in der Regel sehr gut auf Parkinson-Therapien ansprechen und dass die Erkrankung oft nur langsam voranschreitet. Unterschiede in dem Ansprechen auf Medikamente zeigen sich aber auch zwischen verschiedenen genetischen Formen (siehe Fallberichte). Die Behandlung von Patienten mit unterschiedlichen genetischen Formen unterscheidet sich zwar gegenwärtig bezüglich des Repertoires an Medikamenten nicht. Der Neu- rologe kann aber genauer abschätzen, ob zum Beispiel eine höhere oder niedrigere Dosis notwendig sein wird.

Fazit: Bislang unterscheidet sich die Standard-Therapie von Patienten mit genetisch bedingter und idiopathischer Parkinson-Krankheit nicht voneinander. Eine kausale Behandlung der Erkrankung ist auch weiterhin nicht möglich. Patienten mit verschiedenen genetischen Formen sprechen jedoch unterschiedlich auf die Therapie an, was relevant sein kann für die genetische Beratung und gegebenenfalls für die Auswahl von Medikamenten sowie anderen Therapieverfahren wie der Tiefen Hirnstimulation.

Da die genauen Stoffwechselwege bei den genetischen Formen bekannt sind, werden diese Patienten jedoch zukünftig wahrscheinlich von einer spezifischeren und individualisierten Therapie profitieren können. Erste klinische Studien haben bereits begonnen, viele weitere werden vorbereitet. Die Teilnahme von vielen gut informierten Patienten ist erforderlich, um diese jetzt noch experimentellen Therapieansätze in die klinische Regelversorgung zu bringen und damit einer Vielzahl von Patienten zugutekommen zu lassen.

Fallbericht 1

Ein 58-jähriger Parkinson-Patient berichtete, dass bei ihm im Alter von 13 Jahren erste Symptome der Parkinson- Krankheit aufgetreten seien. Die Diagnose Parkinson sei erst etwa 15 Jahre später, d. h. mit Ende 20, gestellt worden. Der Patient sprach aktuell nach einer Erkrankungs- dauer von etwa 45 Jahren weiterhin exzellent auf niedrige Dosen L-Dopa an (Tagesäquivalenzdosis 550 mg Levodopa / Tag). In der weiteren Untersuchung ergaben sich keinerlei Hinweise für eine Demenz. Aufgrund des sehr jungen Erkrankungsalters wurde eine genetische Diagnostik veranlasst. Hierbei zeigten sich Mutationen im Parkin-Gen, so dass die Diagnose einer genetisch bedingten Parkinson-Krankheit aufgrund von Parkin-Mutationen gestellt werden konnte.
Das sehr frühe Erkrankungsalter, das sehr langsame Voranschreiten der Erkrankung, die fehlende Demenz trotz jahrzehntelangem Verlauf und insbesondere das hervorragende Ansprechen auf dopaminerge Medikamente (und Tiefe Hirnstimulation), sind sehr typisch für diese Form des genetischen Parkinsons.

Fallbericht 2

Im Alter von 43 Jahren bemerkte der mittlerweile 52-jäh- rige Patient erste Anzeichen der Parkinson-Krankheit. Die Diagnose wurde kurz darauf gestellt und eine Behandlung mit Dopamin-Agonisten und Levodopa eingeleitet. Die Symptome sprachen nur mäßig auf die Medikation an, zuletzt nahm der Patient nach neun Jahren Erkrankungsdauer eine Levodopa-Äquivalenzdosis von 1865 mg / Tag ein. Trotz des jungen Erkrankungsalters und des eher mittellangen Verlaufes zeigten sich bereits deutliche kognitive Einschränkungen. Aufgrund dieser Konstellation wurde ein Gentest durchgeführt, der eine Mutation im GBA-Gen zeigte. Diese Form des genetischen Parkin- son beginnt in der Regel früher als die klassische idiopa- thische Parkinson-Krankheit und geht bereits in früheren Krankheitsstadien mit kognitiven Auffälligkeiten einher. Die Dosis der Parkinson-Medikamente muss häufig früh im Krankheitsverlauf aufgrund eines unzureichenden Ansprechens gesteigert werden.

Fallbericht 3

Der 63-jährige Patient mit Parkinson-Krankheit entwi- ckelte mit 55 Jahren erste Symptome. In seiner Familie sind weitere Angehörige von der Parkinson-Krankheit betroffen. Der Patient hat eine deutliche Besserung durch die Parkinson-Medikation erfahren und spricht auch weiterhin gut auf die Therapie an (Tagesäquivalenz- dosis 810 mg Levodopa/Tag), wenngleich Wirkungs- schwankungen auftreten. Aufgrund der familiären Belastung erfolgte eine genetische Testung, in der eine Mutation im LRRK2-Gen identifiziert werden konnte. Bei dieser genetischen Form ähneln sowohl Erkrankungs- alter als auch Verlauf sehr der klassischen idiopathischen Parkinson-Krankheit.

PD Dr. Norbert Brüggemann und Prof. Dr. Thomas Gasser

Referenzen

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