Die bisher wichtigste und erfolgreichste Neuerung in der Geschichte der Behandlung des idiopathischen Parkinsonsyndroms wurde durch den Wiener Pharmakologen Oleh Hornykiewicz initiiert. Zusammen mit seinem Mitarbeiter Herbert Ehringer publizierte der gebürtige Ukrainer 1960 den Befund, dass in bestimmten Teilen der Gehirne (Nuclus caudatus und Putamen) verstorbener Parkinsonpatienten ein stark verminderter Dopamingehalt vorliegt. Diese Entdeckung erklärt auch die Forschungsresultate des schwedischen Pharmakologen Arvid Carlsson. Er berichtete 1958, dass ein durch den Blutdrucksenker Reserpin künstlich ausgelöster Dopaminmangel im Striatum bei Kaninchen und Mäusen Parkinsonsymptome auslösen kann, die bei Gabe von Dopamin wieder verschwinden. Fast zeitgleich konnten A. Bertler und seine Mitarbeiter im Hirnstamm und in den Basalganglien des Hundes hohe Mengen von Dopamin nachweisen.
In jenen Jahren wurde auch klar, dass Dopamin eine eigenständige Überträgersubstanz im Nervensystem darstellt. Dies war ein wichtiger Befund, ging doch die Forschung bis dahin von der Hypothese aus, Dopamin sei nicht mehr als ein chemischer Vorläufer von Noradrenalin und Adrenalin. Zudem wurde damals erkannt, dass Dopamin die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden kann.
Pikant: Arvid Carlsson erhielt 2000 für seine Forschungen an Kaninchen den Nobelpreis für Medizin, Hornykiewicz ging leer aus. Eine fragwürdige Entscheidung, wenn man bedenkt, dass Hornykiewicz auch derjenige war, der die ersten Therapieversuche mit L-Dopa bei Parkinsonpatienten initiierte!
Dies, weil er wusste, dass der junge Schweizer Chemiker Markus Guggenheim, langjähriger Forschungsleiter der Firma F. Hoffmann-La Roche in Basel, L-Dopa bereits anno 1913 in der Natur (Vicia faba, Puffbohne) nachgewiesen und sogar ein Syntheseverfahren für die Substanz entwickelt hatte, das sogar patentiert wurde. Da Guggenheim jedoch trotz intensiver Forschung keine klinische Anwendung für L-Dopa finden konnte, geriet das Patent in Vergessenheit und verstaubte während fast 50 Jahren in einer Schublade.
Hornykiewicz aber erinnerte sich an Guggenheims Arbeiten und hatte die Idee, Parkinsonpatienten mit L-Dopa, der Vorläufersubstanz des Dopamins, zu behandeln, in der Hoffnung, L-Dopa könne im Gegensatz zu Dopamin die Blut-Hirn-Schranke überwinden. Nicht ohne Schwierigkeiten gelang es ihm, den Wiener Neurologen Walther Birkmayer zu überzeugen, L-Dopa bei Parkinsonpatienten zu erproben. Dieser behandelte im Sommer 1961 insgesamt 20 Patienten, die meisten davon Parkinsonbetroffene, mit kleinen (50–150 mg), intravenös verabreichten Einzeldosen von Levodopa.
Die Resultate waren faszinierend, das L-Dopa bewirkte bei den Parkinsonpatienten eine spektakuläre Besserung der Akinese. Da die Wirkung zudem über mehrere Stunden anhielt, konnte Birkmayer die positiven Auswirkungen der L-Dopa-Injektionen in Filmen dokumentieren. In der Folge wurde Birkmayer zu einem unermüdlichen Verfechter der L-Dopa-Behandlung. Und nachdem er und Hornykiewicz ihre Erkenntnisse publiziert hatten, führten auch andere Forscher, allen voran André Barbeau in Montreal, Behandlungsversuche mit L-Dopa durch – mit ebenfalls positiven Ergebnissen.
Doch die Fachwelt reagierte skeptisch, ja bisweilen ablehnend. Nicht wenige Experten gewannen den Eindruck, es könnte sich um Placebo-Effekte oder gar um wissenschaftlichen Betrug handeln. Und weil damals noch keine sogenannten Doppelblindversuche durchgeführt wurden, konnten weder Birkmayer noch Barbeau die Zweifel eindeutig zerstreuen.
Der effektive wissenschaftliche Durchbruch gelang erst um 1967, als George Constantin Cotzias in New York seine Patienten mit viel höheren, oral verabreichten L-Dopa-Dosen in der Grössenordnung von 10 und mehr Gramm täglich behandelte.
In der Schweiz verfügten auch wir in der Folge über L-Dopa. Es kam 1970 als Larodopa® auf den Markt. Unsere Parkinsonpatienten erhielten in jener Zeit grosse Mengen davon, teilweise bis zu acht Gramm L-Dopa täglich. Und obwohl die meisten Patienten wegen dieser hohen Dosen an mehr oder weniger ständiger Übelkeit und Erbrechen litten, stellte die Einführung von L-Dopa in die Therapie doch einen riesigen Fortschritt dar, dessen Bedeutung wir heute fast nicht mehr ermessen können.
Besonders eindrücklich schilderte der englisch-amerikanische Neurologe Oliver Sacks die damals in Kliniken auf der ganzen Welt gemachten Erfahrungen in dem 1973 veröffentlichten Buch «Awakenings», das später mit Robert de Niro verfilmt wurde. Sacks berichtet, wie die zuvor nur noch vegetierenden Patienten dank L-Dopa wieder zu einem richtigen Leben erwachen. Es war für uns alle eine wirklich euphorische Zeit – wobei aber auch nicht verschwiegen werden soll, dass wir damals durchaus übertriebene Erwartungen in diese Behandlung setzten. So hofften wir unter anderem, dass durch die Behandlung mit L-Dopa das Fortschreiten der Krankheit gestoppt wird oder dass es sogar zur Heilung kommen könne.
Einen weiteren Meilenstein in der L-Dopa-Ära bedeutete die Einführung der Decarboxylasehemmer Benserazid und Carbidopa, deren Geschichte von einem Paradoxon geprägt ist. Wie erwähnt stiess die L-Dopa-Behandlung lange Jahre auf Skepsis. Um Klarheit zu erlangen, ob es sich bei den unter L-Dopa beobachteten Effekten tatsächlich um die Wirkung des L-Dopa oder um Placebowirkungen handelt, sollte versucht werden, was geschieht, wenn man L-Dopa zusammen mit einem Decarboxylasehemmer verabreicht. Die Idee der Forscher: Der Decarboxylasehemmer verhindert, dass L-Dopa zu Dopamin umgewandelt wird. Also müsste er die Wirkung des L-Dopa verhindern oder zumindest markant abschwächen. Doch genau das Gegenteil trat ein! Mit Decarboxylasehemmer wirkte L-Dopa nochmals deutlich stärker!
Weitere Forschungen machten plausibel, was zunächst paradox anmutete: Im Gegensatz zu L-Dopa können die Decarboxylasehemmer die Blut-Hirn-Schranke nicht passieren. So verhindern sie, dass das oral verabreichte L-Dopa bereits in der Peripherie, also auf seinem Weg durchs Blut ins Gehirn, vorzeitig zu Dopamin abgebaut wird. So gelangt mehr wirksames L-Dopa ins Gehirn und die Wirkung ist bei gleicher L-Dopa-Dosis stärker.
Diese Erkenntnis hatte eine markante Therapieverbesserung zur Folge. Durch die gleichzeitige Gabe von Decarboxylasehemmern konnte man die verabreichten L-Dopa-Dosen um bis zu 90 Prozent reduzieren – und damit auch die belastenden Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen, Inappetenz, Herzrhythmusstörungen und orthostatische Blutdruckabfälle drastisch verringern. So kam bereits 1973 in der Schweiz das Kombinationspräparat Madopar® (Benserazid-L-Dopa-Mischung im Verhältnis 4:1) auf den Markt. Parallel wurde der in den USA entwickelte Decarboxylasehemmer Carbidopa als 10:1-Kombination mit L-Dopa als Sinemet® eingeführt.
Mit diesen beiden Präparaten stand uns erstmals in der Geschichte eine wirklich wirksame Behandlungsmöglichkeit zur Verfügung, die von den Patienten auch gut vertragen wurde. Zwar wurden wir schon bald mit den Problemen der Langzeittherapie wie den unwillkürlichen Bewegungen (Dyskinesien), den Fluktuationen und den psychischen Nebenwirkungen sowie der oft komplexen Dosierung mit vielen täglichen Einnahmen als Folge der kurzen Halbwertszeit von L-Dopa konfrontiert. Auch wurde eine Wirkungsabnahme der Therapie im Verlaufe der Zeit offensichtlich. Dennoch, und obwohl zwischenzeitlich auch andere Behandlungsmethoden entwickelt wurden, die in der Folge noch diskutiert werden, ist die Kombination von L-Dopa mit einem Decarboxylasehemmer bis heute der Gold-Standard der Parkinsontherapie.
Quelle: https://www.parkinson.ch/index.php?id=333
Siehe auch: MedUni Wien trauert um Oleh Hornykiewicz
https://www.meduniwien.ac.at/web/ueber-uns/news/detailseite/2020/news-im-mai-2020/meduni-wien-trauert-um-oleh-hornykiewicz/