Interview in der Stuttgarter Zeitung vom 15.12.2021
Die Arthrose-Management-Plattform der Universitätsklinik Tübingen will Patienten helfen, ihren Lebensstil an die Krankheit anzupassen. Die Orthopädin Pia Janßen erklärt, was hinter dem Konzept steckt.
Pia Janßen ist Fachärztin für Orthopädie und Leitende Oberärztin für Sportorthopädie an der Medizinischen Klinik Sportmedizin der Uni Tübingen. Sie war an der Gründung der Arthrose-Management-Plattform beteiligt, die Patienten eine umfassende Arthrosetherapie anbietet. Davor arbeitete sie beim Reutlinger Unternehmen Tetec, das mit körpereigenem Ersatz von Knorpelgewebe arbeitet.
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Frau Janßen, wie groß ist das Problem Arthrose?
Es ist schon sehr groß, einfach weil es eine Volkskrankheit ist und sehr viel Geld verschlingt. Und es ist wichtig, das Geld auch entsprechend sinnvoll einzusetzen. Da haben wir noch nicht den goldenen Weg gefunden.
Wenn man sich die weltweiten Leitlinien anschaut, dann werden bei der Arthrose eine Bewegungstherapie, eine Lebensstiländerung, eine Aufklärung über die Erkrankung, aber auch über die richtige Ernährung gefordert, bevor überhaupt mit Tabletten oder einer anderen Behandlung begonnen wird. Ich habe aber schon den Eindruck, dass es zumindest in Deutschland oft andersherum ist, nämlich dass die Patienten doch eher medikamentös behandelt werden und auch operativ, bevor sie jemals in einer Krankengymnastik oder Sporttherapie waren.
Quelle: Interview in der Stuttgarter Zeitung vom 15.12.2021 mit Pia Janßen, Fachärztin für Orthopädie und Leitende Oberärztin für Sportorthopädie an der Medizinischen Klinik für Sportmedizin des Universitätsklinikums Tübingen
Das ist für die niedergelassenen Ärzte aber auch richtig schwierig, weil die Angebote fehlen. Und die wiederum fehlen, weil die Gelder woanders reingesteckt werden als in eine nicht medikamentöse Therapie.
Wurde deshalb das Zentrum gegründet?
Ja, genau deshalb. Wir machen schon seit vielen Jahren Arthroseforschung. Da haben wir mit Sportgruppen für Patienten mit Hüftarthrose angefangen und dabei gesehen, dass es wirklich ein Problem gibt. Denn die niedergelassenen Ärzte haben meist gar keine Zeit, richtig zu beraten. Sie müssen einem Patienten erklären, was Arthrose ist und warum Bewegung hilft. Und was er tun muss und wohin er sich wenden kann . Das schafft eigentlich weder ein niedergelassener Orthopäde noch ein Hausarzt in der zur Verfügung stehenden Zeit. Da setzen wir an, indem wir eine Schnittstelle bilden. Die niedergelassenen Ärzte machen die Diagnose und sagen dem Patienten, dass er eine Arthrose hat, die aber noch weit weg von einer Operation ist. Dann können sie dem Patienten empfehlen, zu uns zu kommen. Das war unsere Idee.
Wie helfen Sie den Betroffenen?
Wir nehmen uns die Zeit, den Patienten zu erklären, was Arthrose und was Sporttherapie ist. Und wir beraten sie über mögliche Therapien. Man muss auch über Übergewicht und Ernährung reden. Dabei geht es nicht um irgendwelche Ersatzstoffe oder Vitamine, sondern dass man auf die eher mediterrane, entzündungshemmende Ernährung umstellt, statt Pommes und Schnitzel zu essen. Zudem haben wir unser sogenanntes AMPeL-Projekt. Das ist die Abkürzung für „Arthrose-Management-Programm ermöglicht Lebensstiländerung“. Dabei nehmen wir die Patienten ein halbes Jahr unter unsere Fittiche, sie trainieren dann unter Aufsicht. Das ist eine Kombination aus Kraft- und Heimtraining, Informationsveranstaltung und ausgiebigen Tests, bei denen wir am betroffenen Gelenk die Stabilität und die Kraftsituation, also die Funktion der Muskeln dort, untersuchen. Dann kann man auch gezielter ins Training einsteigen. Und wir stellen den Patienten ein Trainingskonzept für zu Hause oder für ihren Heimatort zusammen. Dann können sie ihrem Physiotherapeuten oder Fitnesscenter zeigen, was sie machen sollen.
Dann müssen sie es nur noch machen…
Genau, sie müssen ihren inneren Schweinehund überwinden. Das ist nicht gerade die einfachste Aufgabe.
Was soll man machen, wenn die Bewegung immer mehr zur Qual wird?
Klar ist, dass niemand Arthrose heilen kann. Das ist eine fortschreitende Erkrankung. Und auch wenn wir Sporttherapie machen, schaffen wir es im besten Fall, das Ganze zu verlangsamen. Aber es ist natürlich sowohl für die Patienten als auch für die Krankenkassen von erheblicher Bedeutung, wenn man die Operation um sechs, sieben oder acht Jahre hinauszögern könnte.
Das Gespräch führte Klaus Zintz.